14 Euro pro Tag für eine Vollzeitstelle? Vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt Prof. Dr. Christine Graebsch, Juristin und Kriminologin an der Fachhochschule Dortmund, einen Inhaftierten bei seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Entlohnung von Arbeit im Strafvollzug. Ein Fall, den sie auch intensiv mit ihren Studierenden diskutiert.
Stundenlöhne zwischen 1,30 bis 2,30 Euro werden derzeit hinter Gittern gezahlt, nur ein Bruchteil vom aktuellen Mindestlohn (9,82 Euro). Und Arbeit im Gefängnis bringt keinen einzigen Rentenpunkt. Altersarmut ist für ehemalige Häftling oftmals die Folge. „Vielen Menschen ist die Lebensrealität im Gefängnis nicht bewusst“, sagt Christine Graebsch. „Auch bei meinen Studierenden sorgt dies immer wieder für Irritationen.“ Dabei hätten die Verfassungshüter schon 1998 erklärt, dass Arbeit ein wichtiger Faktor für die Resozialisierung sei. „Und dazu gehört auch die Anerkennung von Arbeit“, betont die Wissenschaftlerin, die an der FH Dortmund zum Thema Strafvollzug und Resozialisierung forscht und lehrt.
Seminar „Gefangenenrechte“
Den aktuellen Fall vor dem Bundesverfassungsgericht haben Professorin Graebsch und ihr Kollege Dr. Sven-Uwe Burkhardt intensiv mit den Studierenden im sozialwissenschaftlichen Seminar „Gefangenenrechte“ diskutiert. Der Vertretungsprofessor unterstützt die Juristin auch vor Gericht. „Im Seminar sind wir die verschiedenen Argumente durchgegangen, denn mir ist wichtig, dass die Lehre für die Studierenden diesen Praxisbezug hat“, betont Prof. Graebsch. Denkbares Modell für eine faire Anerkennung der Arbeit sei etwa das Bruttoprinzip, bei dem vom Gehalt anteilig Haftkosten, aber auch Unterhalt und Opferentschädigung abgezogen werden können. Auch ein starker Schuldenerlass für geleistete Arbeit käme in Betracht.
Vom höchsten deutschen Verfassungsgericht erhofft sich Christine Graebsch im Urteil klare Worte, „die zumindest eine Debatte um die Bezahlung von Gefangenenarbeit in Bewegung bringen können“, sagt sie im Interview. Wenn Resozialisierung Aufgabe der Haftanstalten sei, dann müsse dies auch ernst genommen werden. Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet.
Interview
Frau Professorin Graebsch, warum streiten Sie für eine bessere Bezahlung der Arbeit von Gefangenen im Strafvollzug? Wird hinter Gittern wirklich mehr Geld benötigt, schließlich werden Essen und Unterbringung gestellt und durch den Staat bezahlt?
Prof. Dr. Christine Graebsch: Stimmt, Sie bekommen ein Bett, eine Toilette in der Zelle und Essen. Aber bei Letzterem haben sie zum Beispiel keine Auswahl. Wenn sie etwas anderes wollen, können sie sich beim Anstaltskaufmann ergänzend versorgen. Dieser hat ein Monopol und nimmt höhere Preise als der Supermarkt draußen. Das ist die Realität. Außerdem müssen Gefangene für Strom bezahlen, für Telefon, Kaffee und Hygieneartikel oder damit sie ein Fernseh-Leihgerät in der eigenen Zelle nutzen können. Für all dieses gehen Gefangene für einen Stundenlohn von ein bis zwei Euro arbeiten. Und: mehr als die Hälfte dieses Arbeitslohns geht oftmals für Schulden drauf – etwa ausstehende Gerichtskosten. Für die meisten Gefangenen ist der Staat der Hauptgläubiger.
Die Menschen wurden aber rechtskräftig verurteilt und sitzen nun mal eine Strafe ab…
Prof. Graebsch: Früher war die Arbeit im Gefängnis auch als Strafe gedacht, denn Arbeit im Strafvollzug gibt es viel länger als das Resozialisierungsprinzip im Grundgesetz. Heute aber soll Arbeit Teil der Resozialisierung sein. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1998 gesagt, dass Arbeit und Entlohnung der Inhaftierten zum Ziel haben, den Wert der Arbeit für ein eigenverantwortliches, straffreies Leben zu erkennen. Ich habe nie verstanden, wie das jemand bei diesen Löhnen erkennen können soll. Das ist ein Widerspruch im System.
Aus dem Strafvollzug kommt das Argument, dass mit der Arbeit im Gefängnis kein Gewinn gemacht wird und höhere Löhne nicht mehr marktfähig wären. Stimmt das nicht?
Prof. Graebsch: Es ist der falsche Ansatz. Wenn die Resozialisierung Aufgabe des Staates ist, dann ist die Wirtschaftlichkeit der Gefangenarbeit nicht relevant. Anders gesagt: Wenn Arbeit ein Faktor der Resozialisierung ist und ebendiese Resozialisierung ein Ziel der Inhaftierung –, dann kann man nicht sagen, das ist uns jetzt zu teuer.
Wie könnten Alternativen zu den geringen Löhnen aussehen?
Prof. Graebsch: Es gibt andere Modelle, über die auch vor dem Bundesverfassungsgericht gesprochen wurde. In Österreich etwa bekommen Inhaftierte mehr Geld, müssen davon aber einen Teil der Haftkosten begleichen. Dieses sogenannte Bruttoprinzip gibt es in Deutschland bereits für Freigänger, die außerhalb der Haftanstalt in einem Arbeitsverhältnis stehen oder für Inhaftierte, die Renten beziehen. Auch sie müssen einen Haftkostenbeitrag abführen. Möglichkeiten der nicht-finanziellen Anerkennung von Gefangenenarbeit wäre auch das Erlassen der Prozesskosten-Schulden, der -Aufbau von Rentenansprüchen oder eine Verkürzung der Haftzeit.
Wirkt sich die Arbeit im Gefängnis derzeit nicht auf die spätere Rente aus?
Prof. Graebsch: Nein. Das war in den 70er-Jahren mal vorgesehen, ist aber nie umgesetzt worden – aus finanziellen Gründen. Es gab immer wieder Ansätze, aber dann wurden Verantwortungen zwischen Bund und Land hin und her geschoben und am Ende passierte nichts. Für Langzeitgefangene ist das besonders relevant, die haben viele Jahre in Haft gearbeitet. Für sie gibt es derzeit auch keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente. Einzig in die Arbeitslosenversicherung sind Inhaftierte einbezogen.
Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ging es weniger um konkrete Mindestlohnsätze, sondern mehr um den Begriff „Anerkennung“. Warum?
Prof. Graebsch: Resozialisierung ist derzeit über weite Strecken nur eine Ausrede. Aber wenn wir Resozialisierung in einer kriminologisch-modernen, dem heutigen Stand der Forschung angemessenen Weise verstehen, dann müssen wir Arbeit mit Anerkennung verbinden. Es wäre zum Beispiel sinnvoll, dass Gefangene von ihrem Lohn Unterhaltsverpflichtungen oder auch Opferentschädigungen selbst bezahlen können. Das macht einen großen Unterschied, den wir in der Sozialen Arbeit als Selbstwirksamkeit bezeichnen. Es ist eine andere Erfahrung, wenn das Geld für das Kind vom eigenen Lohn und nicht vom Staat kommt. Vor allem aber entspricht es auch dem Würdegedanken des Grundgesetzes, geleistete Arbeit anzuerkennen.
Was erhoffen Sie sich von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts?
Prof. Graebsch: Das Gericht kann kein bestimmtes Verfahren oder Modell vorschreiben, sondern nur erklären, welche Möglichkeiten der Anerkennung von Gefangenenarbeit in Betracht kommen. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon 1998 getan, aber bis heute hat sich wenig geändert. Ich wünsche mir, dass das Gericht deutliche Worte findet, die zumindest die Debatte über die Entlohnung von Gefangenen in Bewegung bringen können.