Prof. Dr. Michael Kühler macht Ethik praxisnah

Prof. Dr. Michael Kühler: Wir sind in unserem Leben, sei es privat oder beruflich, ständig mit praktischen Fragen konfrontiert. Wie soll ich am besten handeln? Die Situationen können natürlich mehr oder weniger komplex sein und die Entscheidungen, die wir treffen, mehr oder weniger folgenreich. Normalerweise sind von unseren Entscheidungen, gerade im beruflichen Bereich, allerdings auch andere betroffen, so dass spätestens hier die Ethik ins Spiel kommt. Wie sollte ich aus ethischer Sicht handeln? Wir sind dann meines Erachtens gut beraten, ethische Kompetenz mitzubringen, d.h. fundiert und systematisch über ethische Fragen nachdenken zu können. In meinen Seminaren möchte ich den Studierenden genau dabei helfen, ihre ethische Kompetenz weiterzuentwickeln, und zwar in einer offenen und konstruktiven Atmosphäre, in der es im besten Fall auch einfach Spaß macht, gemeinsam über ein Thema zu diskutieren. 

Prof. Dr. Michael Kühler: Inspiriert hat mich während meiner Studienzeit vor allem mein späterer Doktorvater Hans Ineichen – weshalb ich meine Dissertation auch unbedingt bei ihm schreiben wollte. Er hat in seinen Seminaren immer eine wertschätzende und konstruktive Atmosphäre geschaffen, in der wir das jeweilige Thema gemeinsam auf Augenhöhe diskutieren konnten. Diese scheinbar einfache Idee, einander darin zu unterstützen, etwas zu verstehen und kritisch zu durchdenken – und sich selbst dabei nicht zu ernst zu nehmen –, versuche ich seitdem ebenfalls zu realisieren. 

Prof. Dr. Michael Kühler: Die Philosophie gilt ja als recht abgehoben. Wenn jemand im Elfenbeinturm zu Hause ist, dann sicher die Philosoph:innen. Da scheint mir allerdings ein gewisses Missverständnis vorzuliegen. Natürlich ist es so, dass sich Philosoph:innen mit begrifflichen Fragen auseinandersetzen und häufig auf einer sehr abstrakten Ebene argumentieren. Aber wir tun dies, weil das abstrakte Nachdenken sehr konkrete Folgen für die Praxis hat. Wie wir auf unser zwischenmenschliches Miteinander blicken, d.h. wie wir darüber nachdenken oder welche Begriffe wir in welchen Bedeutungen verwenden, ist die Grundlage dafür, wie wir konkrete Situationen beurteilen und welche Entscheidungen wir treffen.

In der Angewandten Ethik zeigt sich dies sehr öffentlichkeitswirksam beispielsweise im Bereich der Medizin oder in unserem Umgang mit KI. Hier noch eine kleine Anekdote zu einem anderen Thema: Ich beschäftige mich seit Jahren auch mit der Philosophie der Liebe und habe immer wieder Seminare dazu angeboten. In einem dieser Seminare kam im Laufe des Semesters eine Studierende zu mir und erzählte mir, dass sie gemeinsam mit ihrem Freund einen Streit, den sie hatten, deshalb besser verstehen und dann auch gemeinsam lösen konnten, weil sie sich mit den im Seminar zugrunde gelegten philosophischen Texten zur Liebe beschäftigt hatten – und dies war erfreulicherweise nicht der einzige Fall. Philosophie kann sich also sehr wohl als ganz alltagspraktisch bedeutsam und hilfreich erweisen. 

Prof. Dr. Michael Kühler: Ich denke, als Fachgebiet würden sich Philosophie und Ethik eher in einer Serie ausdrücken. Ein wunderbares und sehr unterhaltsames Beispiel wäre „The Good Place“ (2016 – 2020). 

Prof. Dr. Michael Kühler: Auch wenn sich die grundsätzlichen ethischen Fragen mit Blick auf ein gutes gesellschaftliches Zusammenleben nicht sonderlich verändern werden, stellen sie sich doch immer innerhalb spezifischer gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und Entwicklungen. Aktuell und für die nahe Zukunft sehe ich hier die Entwicklung und Nutzung künstlicher Intelligenz als ein Thema, das uns auch aus ethischer Sicht besonders herausfordert. Wie können wir KI in gesellschaftlich verantwortungsvoller Weise gestalten und nutzen? 

Prof. Dr. Michael Kühler: „The Complete Calvin and Hobbes“ von Bill Watterson