150 Teilnehmende diskutierten beim Fachtag am 11. Februar an der FH Dortmund, wie gut das Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderung umgesetzt wird. Die Antwort darauf lässt sich nicht einfach abmessen, deswegen trugen die Akteure ihre jeweiligen Erkenntnisse und Einschätzungen zusammen.
Teilhabe ist, sagt die Weltgesundheitsorganisation, das „Einbezogensein in eine Lebenssituation“. Das Bundesteilhabegesetz von 2016 soll in mehreren Umsetzungsphasen Menschen mit Behinderung in Deutschland ein Einbezogensein in so vielen Lebenssituationen wie möglich erlauben. Herauszufinden, wie gut das bisher klappt, war das Ziel des Fachtags. Mit Akteuren aus der Praxis, aus Wissenschaft und Politik. Akteuren, von denen einige selbst mit einer Behinderung leben.
„Alle gleich“ ist nicht gerecht
Welche einzelne Maßnahme hat unsere Gesellschaft welchem Teilhabeziel um wieviel nähergebracht? Lässt sich nicht genau sagen. Stattdessen diskutierten die Teilnehmenden „Gelingensbedingungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erfolgreichen Hilfestellungen für Menschen mit Behinderungen führen können“, erläutert Prof. Dr. Michael Boecker.
Der Prodekan des Fachbereichs Angewandte Sozialwissenschaften der FH Dortmund hat den Fachtag zusammen mit Dr. Michael Weber vom Heilpädagogischem Zentrum in Krefeld und der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderung in NRW organisiert. Ein Beispiel für eine solche Gelingensbedingung ist etwa die gerechte und damit auch wertschätzende Entlohnung in Werkstätten für Menschen mit Behinderung.
Auf die Notwendigkeit dieser Werkstätten konnten die Teilnehmenden sich weitgehend einigen, berichtet Prof. Boecker. Zwar fordern die Vereinten Nationen in ihrer Behindertenrechtskonvention die Abschaffung solcher „Sonderwelten“ und das sei aus menschenrechtlicher Perspektive auch nachvollziehbar, dennoch stellten die Werkstätten für viele Menschen mit Behinderung die einzige Möglichkeit für eine sinnvolle Beschäftigung dar.
Bevor die Werkstätten abgeschafft werden, sollte daher der „erste Arbeitsmarkt“ so verändert werden, dass er eine mindestens gleichwertige Möglichkeit biete. Denn Inklusion bedeute nicht, „dass alle Menschen gleichbehandelt werden müssen – was sogar sehr ungerecht wäre –, sondern dass sich alle Menschen zwischen adäquaten Alternativen entscheiden können.“
Als weiteres Ergebnis des Fachtags nennt Prof. Boecker die Erkenntnis, dass die Messbarkeit von Leistungen der Teilhabe ein Aushandlungsprozess sei, der von Interessenpolitik und einer unter den Akteuren sehr ungleich verteilten Definitionsmacht beeinflusst werde, und bei dem nicht nur fachliche, sondern auch ökonomische Aspekte zum Tragen kommen.
Jede Perspektive zählt
„Es war ein sehr gelungener Fachtag“, resümiert Prof. Boecker. „Vielen mussten wir bereits im Vorfeld absagen, weil unsere Kapazitätsgrenze erreicht war. Das zeigt die große Bedeutung von Fragen der Teilhabe. Sehr positiv ist auch, dass Menschen mit Behinderungen als Referent*innen und Gäste mitgewirkt haben. Genau diese multiperspektivische Sichtweise wurde von vielen Teilnehmenden äußerst wertvoll betont.“ Eines sei wieder einmal deutlich geworden, betont Prof. Boecker: Die Fragen nach Instrumenten, Verfahren und Methoden seien wichtig, wenn es um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung geht, „aber es ist die Haltung des Einzelnen und der Gesellschaft, die einen Unterschied machen können“.
Viele Teilnehmenden hätten sich dafür ausgesprochen, die Reihe dieser Fachtage an der FH Dortmund fortzusetzen. Nicht nur als wertvolle Gelegenheit für den Austausch zwischen Bundes- und Landespolitik und den Leistungsträgern der Sozialhilfe, sondern auch im „herrschaftsfreien Raum“ der Hochschule, der kontroverse Debatten erlaube und Spannungsfelder zwischen verschiedenen Überzeugungen aushalte. Und, ganz wichtig, weiterhin mit konsequenter Einbindung der Menschen, um die es geht.
Die Personen auf dem Gruppenfoto, von links:
Thomas Haberl, Stabsstellenleitung „Qualitäts- und Risikomanagement“ im LVR-Dezernat Soziales; Anna-Lena Neufeld, M.A., FH Dortmund; Moritz Bock, B.A., FH Dortmund; Svenja Stepper, Kanzlerin der FH Dortmund; Prof. Dr. Sebastian Noll, Hochschule Mittweida; Claudia Middendorf, Beauftragte der Landesregierung für Menschen mit Behinderung sowie für Patientinnen und Patienten in Nordrhein-Westfalen; Sina-Marie Levenig, M.A., FH Dortmund; Prof. Dr. Michael Boecker, FH Dortmund; Prof. Dr. Katja Nowacki, Dekanin des Fachbereichs Angewandte Sozialwissenschaften, FH Dortmund; Dr. Michael Weber, Geschäftsführer Heilpädagogisches Zentrum Krefeld; Jürgen Kröger, Mitglied im Sprecherrat der LAG Werkstatträte NRW.