Von Gewalt betroffene Personen sind nicht immer in der Lage, die erlebte Tat unmittelbar anzuzeigen. In diesen Fällen kann eine vertrauliche Spurensicherung durch Mediziner*innen sicherstellen, dass Beweise nicht verloren gehen. Dies wird künftig von den Krankenkassen bezahlt. Zum Einsatz kommt dabei ein System, an dem Informatiker*innen der FH Dortmund viele Jahre maßgeblich mitgearbeitet haben.
Bereits 2014 hatte ein Team um Prof. Dr. Peter Haas am Fachbereich Informatik gemeinsam mit dem Institut für Rechtsmedizin des Uniklinikums Düsseldorf die Software „GOBSIS“, das Gewaltopfer-Beweissicherungs-Informationssystem, vorgestellt. Die Weiterentwicklung zum intelligenten Werkzeug „iGOBSIS“ führt Mediziner*innen nun Schritt für Schritt durch die Fall- und Verletzungsdokumentation sowie die rechtssichere Spurensicherung. Zudem ist ein rechtsmedizinischer 24-Stunden-Notdienst integriert. Die angeschlossene Datenbank hält wohnortnahe Hilfsangebote bereit, die Ärzt*innen an ihre Patient*innen weitergeben können. Alle Informationen werden anonym gespeichert und können im Fall einer späteren Anzeige abgerufen werden.
Auf dieses System stützt sich jetzt auch eine Vereinbarung über die Kostenübernahme der vertraulichen Spurensicherung durch die gesetzliche Krankenkasse. Das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration in Nordrhein-Westfalen hat sie gemeinsam mit dem NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in den vergangenen drei Jahren verhandelt. Die Vereinbarung soll im Februar 2025 in Kraft treten. Anschließend wird das Angebot sukzessive in nordrhein-westfälischen Kliniken eingerichtet. Der Einsatz von „iGOBSIS“ wird vom Ministerium im Jahr 2025 mit 800.000 Euro gefördert.
Karl-Josef Laumann: „In einer schwierigen Situation helfen“
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann: „Die Opfer von Gewalttaten haben Schlimmes erlebt und sind häufig traumatisiert. Wir wollen mit diesem Vertrag dazu beitragen, dass ihnen in dieser außerordentlich schwierigen Situation geholfen wird und dass sie sich auch noch längere Zeit nach der Tat für ein strafrechtliches Verfahren entscheiden können. Dafür ist es unbedingt notwendig, dass ihnen niedrigschwellig bei der Beweissicherung geholfen wird. Das ist für die Beweisführung in etwaigen späteren strafrechtlichen Verfahren ein wichtiger Schritt.“
„iGOBSIS“ ist bereits in zahlreichen nordrhein-westfälischen Kliniken erprobt worden. Auch in vielen Praxen kommt die Software schon zum Einsatz. Eine Liste der teilnehmenden Kliniken und Praxen gibt es auf der Website www.gobsis.de/projekt/teilnehmende/ (Öffnet in einem neuen Tab)
Vor seinem Ruhestand haben Prof. Dr. Peter Haas und sein Team zusammen mit dem Institut für Rechtsmedizin des Uniklinikums Düsseldorf mit dem Add-on „iGOBSIS-pro“ zudem eine Software-Lösung für die psycho-soziale Nachbetreuung von Gewaltopfern entwickelt. Sie besteht aus zwei Komponenten: der digitalen Gewaltopferakte für die betreuenden und therapierenden Personen und der App für Betroffene. Dies ermöglicht eine individuell zugeschnittene Gewaltbewältigung und deren Dokumentation. So können etwa Fragebögen, Termine und Hilfekontakte aus der Akte über die App an die betroffene Person geschickt werden. Diese wiederum sendet mittels Tagebuchfunktion aktuelle Informationen über ihr körperliches und seelisches Befinden zurück. Das erleichtert die engmaschige Diagnostik und Therapiekontrolle.