Professor Borstel: „Traum von einer großen Querfront“

Es gibt im Rechtsextremismus schon sehr lange den Traum von einer großen Querfront. Dies meint eine riesige soziale Bewegung, die sich gegen die liberale Gesellschaft und den demokratischen Rechtsstaat wendet und diesen geradezu in einem revolutionären Akt wegfegen soll. Das Narrativ dafür ist aktuell „Widerstand“ – gegen Corona, die Maßnahmen, die Einschränkungen usw. Unter diesem „Widerstand“ finden sich aktuell ganz unterschiedliche Gruppen zusammen, die oft nicht mehr verbindet als dieses „Dagegen-Sein“ und der Zweifel an allen Personen, die für unsere Gesellschaft und den Staat stehen.

Die rechtsextreme Seite sieht das ganz pragmatisch: Heute geht es gegen diesen Staat und diese Gesellschaft und wenn der Sieg dann eingefahren ist, geht es vielen, die da heute noch nebeneinanderstehen, an den Kragen – so weit die rechtsextremen Träume.

Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Bei einigen fehlt schlicht die inhaltliche Distanz. Andere bemerken gar nicht, mit wem sie da laufen, und meinen, dies sei auch nur eine Lüge der „Systemmedien“. Für wieder andere ist es auch bequem. Da übernimmt dann die rechtsextreme Seite die Organisation, die Bürokratie, den Kontakt zur Polizei und alles, was so dazu gehört. Dieser Support ist dann gerne gesehen. Die nächsten freuen sich einfach über alle, der diese Idee vom Widerstand teilen, und unterschätzen, dass sie instrumentalisiert werden. Wieder andere sind so mit sich selbst beschäftigt, stehen auch so unter Druck und Spannung, dass es für sie derzeitig einfach keine relevante Frage ist, mit wem sie da marschieren.

Viele eint auch ein lang angestauter Hass gegen die liberale Gesellschaft, unsere Form der Demokratie und den Rechtsstaat. Die freuen sich über alle, die auch dagegen ist. Diese Auflistung ist bestimmt nicht vollständig. Wichtig ist es aber, zu verstehen, dass es oft auch um Emotionen geht und bei Teilen dieser Bewegungen jenseits der offenen Rechtsextremisten weniger um ausgefeilte politische Ideen.

Es geht um die gezielte Verächtlichmachung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Repräsentant*innen und ist natürlich geschichtsvergessen und spottet jeder Diktatur auf dieser Welt. Vor allem die vielen NS-Bezüge sind unerträglich und relativieren für mich zum Beispiel mit dem Bild der „Giftspritze“ auch den historischen Nationalsozialismus und zum Teil auch den Holocaust. Darüber freut sich dann wieder die rechtsextreme Seite.

Es ist von daher auch wichtig, an solchen Stellen klare Grenzen zu ziehen. Zu keiner Zeit war beispielweise das Grundgesetz außer Kraft, auch die Menschen- oder Bürgerrechte waren es nicht. Es gab und gibt zeitlich festgelegte Beschränkungen aufgrund einer pandemischen Notlage. Zu keiner Zeit waren aber die demokratischen Grundregeln oder der Rechtsstaat außer Kraft. Im Gegenteil: Die Demonstrationen, Meinungsäußerungen, Urteile der Gerichte, Wahlen usw. zeigen gerade das Funktionieren dieser Regeln und Strukturen in einer ungeahnten Krisensituation.

Ich kann wirklich allen, die hier von einer Diktatur sprechen, nur raten, sich einmal mit dem Wesen von Diktaturen wahlweise im Geschichtsbuch oder im Gespräch etwa mit Geflüchteten zu beschäftigen und dann diesen gefährlichen Unsinn zukünftig sein zu lassen.