Wie sieht gute Sozialarbeit im Gefängnis aus? Kann sie weitere Kriminalität verhindern? Diese Fragen treiben Riolia Mascarenhas um. Dafür reist die 29-Jährige um den halben Globus und macht derzeit Station an der Fachhochschule Dortmund. Mit einem Bundeskanzler-Stipendium.
Riolia Mascarenhas kommt aus Mumbai. Die Millionen-Metropole ist das Finanzzentrum von Indien, dem bevölkerungsreichsten Land der Welt. Sie hat dort einen Bachelor-Abschluss in Psychologie und Soziologie gemacht und einen Master mit dem Schwerpunkt „Soziale Arbeit in der Kriminologie und Justiz“ erworben. Es war die Zeit, in der sie erstmals auf inhaftierte Menschen traf. „Ich war schockiert zu erleben, wer bei uns im Land alles im Gefängnis landet und welchen Einfluss das indische Kastensystem und die koloniale Vergangenheit haben“, erinnert sie sich.
Die Gefängnisse seien überfüllt, das System überlastet. Ein großer Teil der Inhaftierten sei in Untersuchungshaft und warte auf den Prozess. „Ihnen fehlen oft nur Dokumente oder sie können keine Kaution hinterlegen“, berichtet Riolia Mascarenhas. Im Gefängnis würden sie aber auf organisierte Kriminalität treffen und nicht selten sei dies der Beginn einer Karriere als Straftäter. Sozialarbeit könne hier ansetzen und damit langfristig das System entlasten. Davon ist die 29-Jährige überzeugt.
Sechs Jahre war sie Teil eines Projekts, das Sozialarbeiter*innen mit Pflichtverteidiger*innen zusammengebracht hat. Sie hat sich dafür eingesetzt, dass Gefangene überhaupt Zugang zu kostenfreiem Rechtsbeistand erhalten, hat zwischen Anwälten und Inhaftierten vermittelt, Kontakte zu Familien hergestellte oder Inhaftierte dabei unterstützt, Hilfe für ihre Suchtprobleme zu finden. „In Deutschland“, sagt Riolia Mascarenhas, „gibt es in jedem Gefängnis Sozialarbeiter*innen. Sie sind Teil des Systems.“ Das hat die Wissenschaftlerin fasziniert.
Gefängnis, Menschenrechte und Soziale Arbeit
In Prof. Dr. Christine Graebsch fand sie am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der FH Dortmund eine Expertin, die sich seit vielen Jahren mit dem Strafvollzug befasst. Sie gewann die Juristin als Mentorin für ihr Bundeskanzler-Stipendium. Damit unterstützt die Humboldt-Stiftung engagierte Hochschulabsolvent*innen aus Brasilien, Indien, China, Südafrika und den USA bei einem Projekt in Deutschland.
Seit Oktober 2024 ist Riolia Mascarenhas an der FH Dortmund und besucht Haftanstalten, um mit Inhaftierten, Gefängnispersonal, Sozialarbeiter*innen und anderen Fachleuten, die mit Gefangenen in Kontakt kommen, wie Psycholog*innen oder Seelsorger*innen, zu sprechen. Unterstützt wird sie dabei von Studierenden des Kurses „Gefängnis, Menschenrechte und Soziale Arbeit“ von Prof. Graebsch. „Sie helfen mir bei den Gesprächen, denn Deutsche sprechen oft sehr schnell“, sagt Riolia Mascarenhas. In dem Kurs hat sie zudem über ihre Erfahrungen aus den Gefängnissen in Indien berichtet und den Studierenden so weitere Perspektiven eröffnet.
Ein Höhepunkt des Seminars war die „Winter School“, bei der unter anderem Expert*innen der University of Westminster (Großbritannien) zu Gast waren und über ihre Erfahrungen im Bereich der „Convict Criminology“ sprachen. Dabei geht es um Menschen, die selbst inhaftiert waren und nachdem sie dort studiert haben, in Forschung und Lehre arbeiten, spätere Kriminolog*innen ausbilden und für die Straffälligenhilfe tätig sind. Sowohl für die FH-Studierenden als auch für die junge Wissenschaftlerin aus Indien ein spannender Ansatz.
Noch bis September dieses Jahres wird Riolia Mascarenhas ihre Forschung in Deutschland fortsetzen. „Bis wir in Indien Sozialarbeit als festen Bestandteil in Gefängnissen sehen, wird es noch ein weiter Weg sein“, sagt sie. Die Erfahrungen, die sie in den deutschen Haftanstalten sammelt, will sie in diesen Prozess mit einbringen.