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Die Kontrollkarte

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Die Kontrollkarte

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ – diese Redewendung scheint den Vorschlag der Ministerpräsidentenkonferenz zur Einführung einer „Bezahlkarte“ für Geflüchtete geleitet zu haben. Mit ihr sollen noch in diesem Jahr Personen, die im Asylantragsverfahren sind oder einen Duldungsstatus haben, die staatlichen Sozialleistungen erhalten. Es handelt sich aber nicht um eine Kontokarte, von der Bargeld abgehoben werden kann, sondern um ein Guthaben, mit dem Einkäufe bezahlt werden können. Klingt praktisch? Dahinter steht die Idee, die Sozialleistungen der Geflüchteten für den alltäglichen Konsum zu binden statt ihnen die Möglichkeit zu geben, ihr Bargeld selbstbestimmt zu verwenden für das, was sie für nötig erachten. Nachgedacht wird sogar darüber, die Einlösemöglichkeiten zu begrenzen etwa auf bestimmte Branchen oder Warengruppen.

Viele Fragezeichen

Stellen wir uns einmal vor, wir alle bekämen Teile des Gehalts oder von Sozialleistungen in Form einer Gutschrift. Und mehr noch: Die Kaufmöglichkeiten wären auf mutmaßlich gesunden oder nachhaltigen Konsum eingeschränkt. Der Aufschrei wäre groß. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Stimmt das Sprichwort? Ist es nicht längst aus der Zeit gefallen? Einer Zeit, die einerseits von steigenden Freiheitsgraden in den Entscheidungen des Einzelnen geprägt ist, die andererseits gerade von dieser gewachsenen Freiheit lebt, um die Krisenhaftigkeit und Pluralität von Lebensläufen gestaltbar und lebbar zu machen? Oder sollte dies nur für Inländer gelten?

Was hat sich die Ministerpräsidentenkonferenz dabei gedacht, die 410 Euro, die einem Alleinstehenden nach dem Asylbewerbergesetz in einer weiterführenden Unterkunft zustehen, nicht oder zu einem großen Teil nicht mehr bar auszuzahlen? Ein Vorzug der Bezahlkarte wird darin gesehen, den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen zu senken, die Möglichkeit zu unterbinden, Geld aus staatlicher Unterstützung in die Herkunftsländer zu überweisen, und dadurch die menschenverachtende Schlepperkriminalität zu bekämpfen.

Signal des Misstrauens

Die Maßnahme stellt jedoch ein Signal des Misstrauens dar, und sie nährt die Stigmatisierung von Asylsuchenden als Wohlstandsflüchtlinge, die von den ohnehin zu geringen Beträgen auch noch Überweisungen in ihr Herkunftsland tätigen könnten. Und FDP-Finanzminister Lindner sprach offen aus, es ginge damit auch um die Senkung der Anreize für irreguläre Migration. Die Bezahlkarte erweist sich also zudem als Abschreckungskarte.

Vertrauen und Anerkennung

Dabei liegen seit langem Erkenntnisse vor, die auf die Bedeutung von Vertrauen und Freiheit für die Bindung zum Gemeinwesen und für das aktive Einbringen in die Gemeinschaft hinweisen. Nicht nur die Psychologie und die Sozialisationsforschung bestätigen diesen Effekt, auch die Arbeitssoziologie kennt schon aus den 1930erJahren die produktivitätssteigernden Ergebnisse vertrauensvoller Freiräume von Mitarbeitenden. Doch so weit muss man gar nicht recherchieren, der gesunde Menschenverstand führt es einem vor Augen: Wem Vertrauen und Anerkennung geschenkt wird, entwickelt in den meisten Fällen den Impuls, das Erfahrene zurückzugeben.

Zwei Beispiele

Um nur zwei Beispiele zu nennen: So zeigt unsere Forschung zu Schulen mit dem Siegel „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ einen besonders prägnanten und gelungenen Fall von Gegenseitigkeit, die sich auf natürlich Weise wie von selbst einstellt, wenn die Erfahrungen es zulassen. Der ehemalige minderjährige Flüchtling aus Syrien, den die Schule zum erfolgreichen Abitur begleitet hat, hilft nun als erwachsene Förderlehrkraft bei Deutschkursen für Geflüchtete.

Oder einer unserer Bachelorabsolventen, der zum Kolloquium im Trikot seiner regionalen Fußballmannschaft erschien. „Ich trage es bewusst, es ist ein Dank an meine Mannschaft und die wunderbaren Menschen, die mich einfach haben mitspielen lassen, als ich 2015 als Minderjähriger in Dortmund ankam. Hier habe ich Deutsch gelernt, auf dem Platz wie in der Kabine und beim Hausaufgaben machen, hier habe ich Freude gefunden, hier bin ich zuhause. Und hier will ich zurückgeben, was mir einst geschenkt wurde: Vertrauen und Engagement.“

Autorin des Blogbeitrages