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Germanische Artgemeinschaft, Waffen und völkische Siedlungen

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Germanische Artgemeinschaft, Waffen und völkische Siedlungen

In der Lüneburger Heide siedeln sich, wie in mehreren anderen ländlichen Räumen auch, völkische Gemeinschaften an. Gemeint sind damit Gehöfte, Wohnprojekte und Ansiedlungen zumeist von Netzwerken mit völkischer Orientierung. Oft sind es auch Familien, die sich seit Generationen in rechtsextremen Netzwerken bewegen. Für sie sind diese Siedlungen ein Rückzugsort rechtsextremer „Lebensart“. Vor allem Kinder sollen dort möglichst wenig beeinflusst von liberalen Ideen in einem völkischen und oft auch nationalsozialistischem Alltag mit entsprechenden Werten, Kultur und Rollen aufwachsen.

Beschäftigung mit Thema seit über zwanzig Jahren

Mich beschäftigen solche Refugien seit über zwanzig Jahren. Für meine Dissertation forschte ich über Jahre in Vorpommern, lernte dort Menschen kennen, die in solchen Siedlungen lebten, klopfte an Türen auf den entsprechenden Gehöften und suchte zumeist vergebens das Gespräch. Ergiebiger waren dann die Begleitungen von Aussteigerinnen und Aussteigern aus diesen Milieus. Sie erzählten mir vom früheren Leben in diesen Gemeinschaften, ihren damaligen Träumen und Vorstellungen – aber auch von den individuellen Brüchen, der Gewalt im Alltag, den ökologischen Ideen zur Ernährung und dem religiösen Überbau mit den Bezügen zur nordisch-germanischen Mythologie.

Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V.

In den letzten Wochen holte mich dieses Thema wieder ein. Ich hatte „Spiegel TV“ dazu ein paar Sätze in die Kamera gesprochen. In einem Nebensatz fiel auch das Stichwort der sogenannten „Artgemeinschaft“. Genau genommen heißt sie „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V.“ – in meinen Augen eine ziemlich üble und mir auch recht absurd erscheinende rechtsextreme Sekte. Daraufhin meldeten sich mehrere kommunale Ordnungsämter und baten um Informationen. Der Grund war immer gleich: Mitglieder dieser Gruppierung hatten offizielle Waffenscheine und die Kommunen brauchten Informationen, um ihnen diese möglicherweise entziehen zu können, so eine Gefährdungslage erkennbar sei.

Die Geschichte der Artgemeinschaft ist dabei schnell erzählt. Sie wurde 1951 in Göttingen gegründet und ist offiziell als Verein eingetragen. Sie beruft sie auf das sogenannte „germanische Erbe“ und möchte dieses bewahren und im Hier und Jetzt mit Leben erfüllen. Dafür verwendet sie den Begriff der „Art“, der bei näherer Betrachtung als Synonym für eine eindeutig biologistische Rassenvorstellung ist. Im Kern geht es wieder um Vorstellungen sogenannter „Arier“, die anderen Arten zwar überlegen und doch derzeitig in Gefahr seien, von fremden Arten und „artfremdem“ Verhalten verdrängt zu werden. Den heutigen Vorsitzenden, Jens Baur, durfte ich vor etwa fünfzehn Jahren interviewen. Er war damals Mitarbeiter des früheren NPD-Fraktionsvorsitzenden in Sachsen und ich forschte zum Rechtsextremismus in Dresden. Er lud mich auf einen Kaffee in die NPD- Immobilie in Riesa ein. In einer Kellerkneipe und dem Rauch und Dunst offenbar langer Biernächte erzählte er mir damals von seinen politischen Ideen und Aktivitäten. Damals träumte er noch von einer Anbindung an die bürgerliche Mitte und schwärmte vom „Front National“. Heute steht er einer der radikalsten rechtsextremen Gruppen in Deutschland vor. Ich hätte ihm einen anderen Weg gewünscht.   

Detailwissen wichtig

Die anfragenden Kommunen brauchten für ihre Verfahren jedoch Detailwissen, bei dem ich mir auch nicht sicher war. Hier half mir -wie so oft – einer bis heute besten Kenner der rechtsextremen Strukturen, Bernd Wagner von Exit-Deutschland, weiter.

Eine Verteidigungsstrategie der Waffenträger sei wohl, dass sie eher zufällig in eine Veranstaltung der Artgemeinschaft geraten seien und dabei beobachtet worden wären. Mir schien das unglaubwürdig. Die Artgemeinschaft ist ein kleines Eliteprojekt und nicht auf größere Öffentlichkeit aus. Die Veranstaltungen werden strikt kontrolliert und sind von außen kaum einsehbar. Allerdings wies mich Wagner auf eine Ausnahme hin: Beerdigungen. Manchmal stellt die Artgemeinschaft Trauerredner. Im eigenen Kreis wird dann kein Blatt vor dem Mund genommen. Ist die Trauergemeinde jedoch gemischt und sind auch Nicht-Rechtsextremisten vor Ort, hält sich der Trauerredner deutlich zurück und gibt sich nicht als Mitglied der Artgemeinschaft zu erkennen. Das kann schon mal übersehen werden, ist dann aber streng genommen auch keine Veranstaltung der Sekte.

Unvollständig war auch mein Wissen zur Mitgliedschaft. Bekannt war mir das sogenannte „Artbekenntnis“ – eine Art rassistischer Schwur auf das völkisch-germanische Erbe. Es beinhaltet auch die Verpflichtung zur nationalsozialistischen Vorstellung von Familie als Keimzelle des Volkes und einer entsprechenden Werteerziehung der Kinder im nationalsozialistischen Sinne. Die Gruppe versteht sich dabei explizit als Elite. Entsprechend nimmt sie nicht jeden auf, der Mitglied werden möchte, sondern wählt aus, wer sich in besonderer Weise nationalsozialistisch bewährt habe und wer über den dazu passenden familiären „Rassestammbaum“ verfügt.

Was ich nicht wusste, ist, dass neue Mitglieder gezielt angesprochen werden und eher informelle Bürgen brauchen, die bestätigen, dass die Person zuverlässig und passend im Sinne der Werte der Sekte seien. Mich erinnerte das an das Vorgehen der SED in der DDR. Auch dort konnte nur Genosse werden, wer von zwei Genossen vorgeschlagen wurde, die für ihn bürgten. Neue Mitglieder werden in die Artgemeinschaft feierlich aufgenommen, berichtet ein Aussteiger. Neben dem öffentlichem Bekenntnis zum „Sittengesetz“ und zu den Werten der Gemeinschaft gibt es Ansprachen, völkische Tänze, Musik und vermeintlich germanische Speisen und Getränke. Eine „zufällige“ oder nicht bemerkte Mitgliedschaft („Vielleicht hat mich da irgendwer auf eine Liste geschrieben…“) kann somit ausgeschlossen werden.

Diese Gruppe hat in sich auch eine stark gewalttätige Seite. Das Bild des germanischen Kämpfers, der für die Reinheit und den Erhalt seiner Art (ehrlicher wäre „Rasse“) kämpft, ist in den Schriften omnipräsent. Gewalt ist auch der Erziehung immanent: Kinder sind Nachwuchs fürs Reich und die Art. Sie erleben schon früh Rassismus und Gewalt als Normalität.

Es macht somit Sinn, auch diese kleine Gruppe in den Blick zu nehmen und ganz bestimmt, gehören keine Waffen in die Hände der Mitglieder dieser Gruppierung. Von daher begrüße ich die Initiativen der Kommunen, sich dem Thema zu widmen und bin gespannt auf einige gerichtliche Auseinandersetzungen, die wohl folgen werden.


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  • Michel Boße | Michel Boße